Linker Nationalismus heute –
so beschert wie damals
Es soll also noch einmal um das leidige Thema Nationalismus gehen als kleine Fortsetzung vom letzten Podcast über die damalige Komintern. Nationalismus erst mal verstanden als individuelles, subjektives Gefühl der Zugehörigkeit zu und deswegen der Parteilichkeit für eine Gemeinschaft, auf Basis von Merkmalen, die durchaus variieren. Vorweg auch die Behauptung, dass es sich bei Nationalismus und Patriotismus um die identische Einstellung zum geliebten Vaterland handelt. Mit „Patriotismus“ wird in der Regel eine positive, zustimmende Stellung zu dieser Einstellung ausgedrückt, mit „Nationalismus“ eine negative oder zumindest problematische. Nationalismus wird öfter als überschießende Form, als ein Zuviel einer an sich wünschenswerten Vaterlandsliebe gedeutet, die keineswegs zwingend in die Abwertung anderer Vaterländer münden müsse – und das haut so nicht richtig hin. Das Argument dafür ist ein Blick ins volle Staatenleben entlang der Frage, wie stehen sie denn nun zueinander, die von „ihren“ Patrioten jeweils geliebten Vaterländer? Wickeln sie ihre nationalen Anliegen quasi parallel und gleichgültig zueinander ab – oder treten sie in regen Verkehr miteinander, machen Interessen an anderen geltend, erheben Ansprüche an andere, erleben darüber manche Enttäuschungen und arbeiten sich darüber zu heftigen Konflikten vor?! Zweiteres ist bekanntlich der Regelfall, und darum ist die ach so unschuldige Liebe zum Vaterland die entscheidende Quelle des Hasses gegen alles, was dem geliebten Vaterland im Ausland im Weg ist.
Bin bei Gelegenheit darauf aufmerksam gemacht worden, dass sich unter Linken, Abteilung Marxisten-Leninisten, die Ausführungen von Stalin und Lenin nach wie vor einer gewissen Beliebtheit erfreuen, die beiden nach wie vor als Autoritäten gelten, und gern zitiert werden.
„Eine Nation ist eine historisch entstandene stabile Gemeinschaft von Menschen, entstanden auf der Grundlage der Gemeinschaft der Sprache, des Territoriums, des Wirtschaftslebens und der sich in der Gemeinschaft der Kultur offenbarenden psychischen Wesensart. Dabei versteht sich von selbst, daß die Nation, wie jede historische Erscheinung überhaupt, dem Gesetz der Veränderung unterworfen ist, ihre Geschichte, ihren Anfang und ihr Ende hat.“ (Stalin: Marxismus und nationale Frage).
Sprache
Gut, Nation ist historisch entstanden und veränderlich, das trifft auf alles und jedes zu. Ansonsten hat man es mit der stinknormalen bürgerlichen Vorstellung einer Gemeinschaft zu tun, die vor und unabhängig von Politik und Herrschaft existiert, auf Basis von Faktoren und Elementen, die sich zum Teil nicht vermeiden lassen, und von denen zum anderen Teil die Herrschaft, die sie erzeugt, einfach weggedacht wird, als unmaßgeblich betrachtet wird. Der Reihe nach: Da hätten wir einmal die „Gemeinschaft der Sprache“, die keine Gemeinschaft ist, weil die Kenntnis einer Sprache nun einmal kein gemeinsames Interesse, keine gemeinsamen Zwecke zwischen denen stiftet, die doch bloß deutsch oder englisch sprechen. In einer Interpretation dieses Zitats ist zu lesen:
„Nun kann man sich zum Staat und dem Kapitalismus positiv oder negativ verhalten. Sprachliche und kulturelle Prägung sind dagegen kaum das Ergebnis einer individuellen Entscheidung. Und es ergibt auch wenig Sinn, in diesem Sinne eine ablehnende Haltung zur Nation einzufordern.“ (https://www.kommunistischepartei.de/wp-content/uploads/2018/07/Spanidis-Standpunkt-gegen-den-Marxismus.pdf)
Das ist er, der bürgerliche Blödsinn in Reinform: „Sprachliche Prägung“ – ja, das hätten sie wohl gern, die Fanatiker der „nationalen Identität“, dass man durch das Lernen einer Sprache eine Prägung, eine Formung, womöglich eine Festlegung erfährt, so wie das Goldstück durch Prägung zur Münze wird. In der bürgerlichen Vorstellung der „Prägung“ wird die Doppeldeutigkeit von deutsch denken, formulieren, reden ausgeschlachtet, ohne es zu thematisieren. Wer deutsch redet, denkt, formuliert, bedient sich eben der deutschen Sprache, um seine individuellen Überlegungen, Interessen, Einwände – was auch immer – vorzutragen. Zu welchen Befunden er über Staat, Kapital und Nation kommt, ist dadurch nicht festgelegt. Für Nationalisten bedeutet „deutsch denken“ hingegen, die Welt von einem nationalen Standpunkt aus zu betrachten, eben durch die nationale Brille, also deutsche Interessen zu kennen, zum Ausgangspunkt aller Betrachtungen zu nehmen, und den Rest der Welt nach dem Stellenwert und der Geltung deutscher Rechte und Ansprüche zu begutachten. Die Vorstellung einer Prägung läuft darauf hinaus, beides müsste identisch sein – ja, das hätten sie gern. Eine bodenlose Vorstellung: Man ist nicht das Subjekt, das eine Sprache spricht und sich ihrer bedient, sie benutzt; sondern umgekehrt, die Sprache bedient sich der Menschen, legt sie auf Nationalismus fest. Daher kommt übrigens auch die Forderung an Migranten, die müssten sich die Sprache des jeweiligen Ziellandes aneignen. Da geht es nicht darum, denen die Verständigung und damit das Leben leichter zu machen, sondern um die Voraussetzung, um sich als Neuankömmling geistig in die Mentalität, in die „psychische Wesensart“ der neuen Nation einzuhausen, sich den alten Nationalismus ab- und einen neuen anzugewöhnen.
Der opportunistische Standpunkt nochmal in Reinform: Weil diese erfundene „Prägung“ gerade keine „individuelle Entscheidung“, weil man sich gar nicht für oder gegen die „Muttersprache“ entscheiden kann, deswegen ist eine individuelle Entscheidung gegen so eine dem Individuum angeblich damit auferlegte Stellung wenig sinnvoll?
Wirtschaftsraum
Das Nachplappern bürgerlicher Gemeinplätze besteht im Weiteren darin, die „Konstitution und Entwicklung von Nationen durch die Entstehung kapitalistischer Staaten (Gemeinsamkeit des Territoriums und Wirtschaftslebens)“ (ebd.) nichtsdestotrotz und allen Ernstes als Herstellung von Gemeinschaft zu begrüßen. Der Reihe nach: Wenn Leute irgendwo wohnen, dann konstituieren sie, diese Leute, sicher keine Gemeinsamkeit des Territoriums – es sei denn, es handelt sich um einen Verband von Großgrundbesitzern. Das Territorium ist ein Werk der zaristischen oder realsozialistischen Herrschaft, die ihre Territorien von anderen politischen Subjekten abgrenzen. Und vom kapitalistischen Wirtschaftsleben auf einem Territorium durch die Entstehung kapitalistischer Staaten haben zumindest früher Marxisten mal gewusst, dass eine falsche Vorstellung von „Gemeinschaft“ mitten in kapitalistischen Staaten nur dann und dadurch zustande kommt, wenn sich die Ausgebeuteten ihre Arbeit zum Nutzen von Kapital und Staat als ihren Beitrag zu einem Gemeinschaftswerk, zu einer gemeinsamen nationalen Sache einbilden, oder sich einreden lassen oder wie auch immer zurechtlegen. Der vom Staat eingerichtete und betreute Kapitalismus als Gemeinschaft – das ist schon die Leistung des Narratives „Nation“, des national verstandenen „wir“. Die ganze Absurdität im Rahmen der erwähnten Interpretation nochmal zusammengefasst:
Landschaft und Kultur
„Eine Sache ist die Unterordnung unter die Bourgeoisie und ihren Staat. Eine ganz andere ist es, ein positives emotionales Verhältnis zur eigenen (oder einer anderen) nationalen Kultur, Sprache, der Landschaft oder der Mentalität der ansässigen Bevölkerung zu haben. Teil einer solchen objektiv bestehenden Gemeinschaft zu sein oder sein zu wollen, ist an sich noch überhaupt nicht problematisch. Auch ergibt sich daraus keine ausschließende oder abwertende Haltung gegenüber anderen Gemeinschaften.“ (ebd.)
Das sind halt nicht zwei verschiedene Sachen, sondern eine und dieselbe – ein positives emotionales Verhältnis zur Unterordnung unter die Bourgeoisie und ihren Staat, womöglich festgemacht im Namen von so peripheren Momenten wie Sprache, Kultur – und im Ernst sogar wegen der Landschaft?! Wenn man sich gern in einer netten Gegend aufhält, soll sich auch daraus ein „positives emotionales Verhältnis“ zu den sonstigen Bestandteilen eines Staates als quasi naturwüchsige Folge aufdrängen? Nun, ich war auch mal im Ausland – da gibt es vielleicht Landschaften! Und deswegen soll man italienischer, spanischer Nationalist werden? Oder welcher „solchen objektiven Gemeinschaft“ soll man sich denn nun zuordnen, wenn man gern irgendwo baden geht, und warum denn überhaupt? Mit anderen Worten, welche Landschaften ein Individuum denn nun zum Parteigänger welcher Nation prädestinieren sollen, das muss schon vor jeder Rundreise feststehen – man wüsste doch gar nicht, für welche und wie viele Staaten man darüber freundliche Gefühle entwickeln soll. Dasselbe gilt für die Relativierung, man könne doch nicht nur zur „eigenen“ – die gibt es also? – sondern ebenso zu einer anderen, „nationalen“ Kultur ein positives emotionales Verhältnis zulegen. Klar, gefallen kann einem viel auf der großen weiten Welt, von der Landschaft im Ausland bis zur dortigen Küche – aber was soll das mit Nationalismus zu tun haben, der doch irgendwie das Thema ist?! Denn das ist genau der Kern des nationalistischen Narratives: Man sei aus im Grunde ebenso unvermeidlichen wie unpolitischen Umständen, aus völlig unverdächtiger Sympathie für ganz reizende Phänomene – zum Parteigänger eines Staates unterwegs oder gar geprägt! Als Höhepunkt des Blödsinns auch noch die Versicherung, aus derart harmloser Sympathie folge doch „keine ausschließende oder abwertende Haltung gegenüber anderen Gemeinschaften“. Doch, genau das ergibt sich daraus im Fall des Falles – das hängt eben am Verhältnis dieser „Gemeinschaften“ zueinander, wie freundlich oder feindlich die entsprechenden Staaten als die Subjekte dieser „objektiv bestehenden Gemeinschaften“ miteinander verkehren. Nationalisten kriegen es deswegen fertig, die Feindschaften „ihres“ Staates höchstpersönlich zu nehmen, und die passenden Hassgefühle auszubilden, gegen die Freunde einer anderen Kultur, Sprache, Landschaft, Mentalität, ohne eines dieser Exemplare je persönlich kennengelernt zu haben.
Wie kriegt es dieser komische Standpunkt hin, sein trotziges Faible für die Nation mit Vorstellungen von Klassengegensatz und Ausbeutung zu harmonisieren? Eine Variante:
Klassengesellschaft – bloß Ziel bzw. Forderung
„Natürlich sind die Interessen der Klassen innerhalb einer Nation gegensätzlich. Für die Arbeiter eines Landes sind die Kapitalisten desselben Landes nicht nur irgendwelche Gegner, sondern ihre unmittelbaren, größten Gegner. Ein Allgemeininteresse der Nation kann es deshalb nicht geben“, auch wenn „der bürgerliche Nationalismus genau dieses ‘Allgemeinwohl’ als reale Zielgröße der bürgerlichen Politik annimmt. Die Grenze zum Nationalismus liegt nämlich genau da, wo das imaginäre Allgemeinwohl der Nation, das in Wirklichkeit das Interesse der herrschenden Klasse ist, zum übergeordneten Ziel erklärt wird. … Denn der nationale Staat beruht auf der Kapitalakkumulation, weshalb die Unterordnung aller entgegengesetzten Klasseninteressen unter dieses Ziel tatsächlich eine naheliegende und häufige Forderung bürgerlicher Politik ist.“ (ebd.)
Der nicht sehr gelungene Spaß besteht in dem Fall darin, eine harte Tatsache, nämlich die Unterordnung aller Interessen unter die Erfordernisse der Kapitalakkumulation in einer kapitalistischen Nation, zu einer bloßen „Zielgröße“, einem „Ziel“ zu relativieren, zu einer „häufigen Forderung bürgerlicher Politik“ herunterzubringen – also im Grunde zu einer offenen Frage zu verharmlosen! Unterordnung in einem „nationalen Staat, der auf der Kapitalakkumulation beruht“ – das müsste doch nicht sein! Eine andere Variante:
„Denn für die Bourgeoisie sind die Gemeinsamkeit der Sprache, Kultur usw. natürlich letzten Endes nichts anderes als ein ideologisches Instrument, um die Unterordnung der gesamten Gesellschaft unter ein fiktives ‘Interesse der Nation’ zu bewirken, das nichts anderes sein kann als das Interesse des Staats als ideellem Gesamtkapitalisten, also das Interesse des Kapitals. Im Alltagsbewusstsein des Proletariats und anderer Volksschichten ist die Nation aber durchaus etwas anderes, nämlich eine diffuse Vermischung von verschiedenen Elementen, die keineswegs alle reaktionär sind. Die reaktionäre, weil exklusive und auf Burgfrieden zwischen den Klassen hinauslaufende Seite des Nationenbegriffs ist dabei oft, aber überhaupt nicht immer vorhanden oder gar vorherrschend.“ (ebd.)
Gut, also die Bourgeoisie ist begeistert von der wolkigen Vorstellung einer auf Sprache und Kultur beruhenden „Gemeinschaft“, weil in der real existierenden Gemeinschaft ihr Interesse das maßgebliche ist, das mit der Unterordnung des Proletariats bedient wird. Das Alltagsbewusstsein des Proletariats von der Nation zeichne sich hingegen durch ein unbestimmtes Durcheinander aus, in dem die Nation gar nicht vorkommen muss: Eine „diffuse Mischung“, nicht gänzlich reaktionär – also wieder mal eine offene Frage. Die harmonisierende Vereinnahmung der Proletarier in ein nationales „wir“ – muss gar nicht sein! Und schon gar nicht muss die nationale Einheit reaktionär sein! (Die Erörterung der „progres siven Elemente der Nation, wie z.B. den kollektiven Kampf gegen nationale Unterdrückung“, die schenke ich mir heute, das wäre ein anderes Thema; statt dessen ein anderes Beispiel für die progressive Seite des Nationalismus:)
Die Fußballparty: Wider die kapitalistische Verinzelung
„Auch die im Nationalgefühl enthaltene Gemeinsamkeit ist nicht nur reaktionär. Denn das Zusammenkommen von Menschen derselben Nationalität, wie es beispielsweise bei großen Sportereignissen geschieht, kann angesichts der kapitalistischen Vereinzelung und Individualisierung durchaus auch positiven Charakter haben – ob der Chef und die Bundeskanzlerin in die Fußballparty einbezogen werden und ob die Fans der gegnerischen Nationalmannschaft niedergemacht werden, das steht dabei ja noch nicht fest. Die kapitalistische Kultur bietet der reaktionären Tendenz hier zahlreiche Anhaltspunkte, trotzdem können auch hier klassenbewusste proletarische Kräfte ihren Einfluss geltend machen.“ (ebd.)
Welche Gemeinsamkeit da besteht, das ist egal, Hauptsache, eine – irgendeine – leistet auf alle Fälle die Überwindung der „kapitalistischen Vereinzelung“ und hat damit einen „positiven Charakter“, sogar die ausdrücklich von oben organisierten Inszenierungen des nationalen Gemeinschaftsgefühls im Rahmen des sportlichen, des friedlichen Wettstreits der Völker: Dass das „Zusammenkommen von Menschen derselben Nationalität bei großen Sportereignissen“ diese Menschen in genau dieser nationalen, klassenübergreifenden Eigenschaft vereint, das müsste unter Anwendung der ideologischen Wunderwaffe, wieder nicht sein –warum nicht? Weil – wenn „klassenbewusste proletarische Kräfte ihren Einfluss geltend machen“! – dann könnten doch die deutsche Kanzlerin und ein deutscher Chef aus der nationalistischen Party ausgeschlossen werden? Sind wir noch ganz bei Trost? Dass die Fans der „gegnerischen Nationalmannschaft“ gern niedergemacht werden, weil es doch die Fans der gegnerischen National(!)mannschaft sind, ist auch bekannt – und das müsste schon wieder nicht sein … Eine faszinierende Vision: Aus dem Fußballstadion werden unter kommunistischer Führung – weil doch „Kommunisten sich in der Regel an die Spitze des nationalen Befreiungskampfes stellen“ – die enttäuschten Fans nach einer krachenden Niederlage unter Überwindung ihrer Vereinzelung zum Kanzleramt geführt, um dort die Entlassung des Bundestrainers zu fordern!?
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Vortrag und Diskussion
Ein paar Bemerkungen zur nationalsozialistischen Herrschaft und den Verrenkungen nachher
Referent: Herbert Auinger
Am 11. 11. 2024 um 18:30 im Hörsaal C2 am Campus der Uni Wien, Hof 2.6, Spitalgasse 2, 1090 Wien
(Samt Fußnote: Nie wieder Faschismus – wie geht das?)
0. Warnung
Das ist eine sog. Trigger-Warnung. Eine lapidare Analyse der nationalsozialistischen Herrschaft ist unvermeidlich eine Heimhohl-Aktion. Das Dritte Reich kehrt heim: Ins Reich der Geschichte, ins Reich der Politik, ins Reich des Staates und der Nation. (Die Beteiligung der Österreicher im damaligen deutschen Staatsdienst ist immer mitgedacht.) Das könnte verstörend wirken; wer sich an gängige Darstellungen gewöhnt hat, könnte sich unbehaglich fühlen. Als da etwa wäre:
Hitler war ein Wahnsinniger, der aufgrund bis heute ungeklärter Umstände nicht in der Klapse, sondern an der Staatsspitze gelandet ist; das deutsche Volk hat zwar vorher und nachher als normales Volk funktioniert, zwischenzeitlich aber aufgrund eines ebenso ungeklärten Aussetzers beim übergeschnappten Führer mitgemacht – davon wird nicht die Rede sein. Statt dessen wird das politische Programm des Nationalsozialismus erläutert, für das die NSDAP das deutsche Volk gewinnen konnte. Insofern gibt es auch kein Plätzchen für höheren Blödsinn, inspiriert aus Frankfurt, wonach die Nazis eine logische Kategorie liquidieren wollten, und auf der Suche nach der „wahnhaften Konkretisierung des Abstrakten“ fündig wurden; dafür fehlt jeder Hinweis auf eine „verkürzte Kapitalismuskritik“.
1. „Umerziehung“ zur Vergangenheitsbewältigung
„Einerseits haben Liberale und Konservative, während sie die Diskontinuität zwischen der Nazivergangenheit und der Gegenwart betonten, im Bezug auf jene Vergangenheit ihre Aufmerksamkeit auf die Verfolgung und Vernichtung der Juden konzentriert. Andere Gesichtspunkte, die für den Nazismus zentral waren, sind dabei vernachlässigt worden. Die Betonung des Antisemitismus diente dazu, den angeblich totalen Bruch zwischen dem Dritten Reich und der BRD zu unterstreichen. Eine Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen und strukturellen Wirklichkeit des Nationalsozialismus, die 1945 nicht plötzlich verschwunden war, wurde so vermieden. Es ist bezeichnend, daß die westdeutsche Regierung an Juden ‘Wiedergutmachungszahlungen’ leistet, jedoch nicht an Kommunisten und andere verfolgte, radikale Gegner der Nazis. Mit anderen Worten, was den Juden geschah ist instrumentalisiert und in eine Ideologie zur Legitimation des gegenwärtigen Systems verwandelt worden.“ (Moishe Postone, Antisemitismus und Nationalsozialismus, in: Deutschland, die Linke und der Nationalsozialismus. ca ira 2005)
2. Das nationalsozialistische Programm
– „Deutschland wird entweder Weltmacht oder überhaupt nicht sein“
– „Lebensraum im Osten“
– „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“
3. Der Völkermord: Verschwunden in der Unerklärbarkeit
„Zu den meisten Kriegsverbrechen, Massakern und Schlächtereien in der Geschichte gibt es eindeutige Stellungnahmen. Ein Massaker im Rahmen eines kolonialen Krieges wird entweder mit dem Hinweis auf militärische oder politische Notwendigkeiten gerechtfertigt oder aus humanitären Gründen verurteilt. Der Sinn eines solchen Massakers ist aber auch seinen Kritikern einsichtig. Man verurteilt das Verbrechen, weiß aber, warum es stattfindet. Bei Auschwitz stellt sich das anders dar. Die Verurteilung des Massenmordes an den europäischen Juden ist (fast) einhellig. Dafür wird in der Regel davon ausgegangen, daß sich in diesem Fall das letztendliche Motiv für dieses Verbrechen der Kenntnis und der Nachvollziehbarkeit der Kritiker entzieht.“ (Stefan Grigat, Ökonomie der „Endlösung“? In: Weg und Ziel 1/1997)