An das
Bundeskanzleramt, Verfassungsdienst
z.H. Herrn Dr. Michael Kogler
Ballhausplatz 2
1010 Wien
Wien/Linz, am 15. Oktober 2020
Betr: Entwurf eines Bundesgesetzes über Maßnahmen zum Schutz der Nutzer auf Kommunikationsplattformen (Kommunikationsplattformen-Gesetz – KoPl-G), Gz 2020-0.452.909
Sehr geehrte Damen und Herren!
Cultural Broadcasting Archive Verein für digitale Kommunikation betreibt gemeinsam mit der Freier Rundfunk Oö GmbH und bis vor kurzem mit dem Verband Freier Rundfunk Österreich das Cultural Broadcasting Archive („CBA”, https://cba.media), letzterer greift über eine Schnittstelle auf die Daten des CBA zu und spielt sie über ein eigenes front-end, https://freie-radios.online aus. Die Plattform wurde bereits im Jahr 2000 gelauncht, inzwischen sind darauf über 120.000 Radiosendungen/Podcasts, Videocasts, Fotos und Dokumente online verfügbar. Das CBA ist nicht gewinnorientiert / gemeinnützig und frei von argumentierender Werbung.
Wir begrüßen das Vorhaben der Regierung, Soziale Medien/Kommunikationsplattformen ernst zu nehmen und nicht als extrajudiziellen Raum zu verstehen. Bereits bei der Konferenz #mediana im Mai 2017 (https://mediana.at/mediana17/) haben wir uns der Thematik angenommen und dazu gemeinsam mit dem Verband Freier Radios Österreich, IG Kultur, Creative Commons ua. ein Forderungspapier zur Plattformregulierung „Für Meinungsäußerungsfreiheit und Pluralität auch im Internet“ (https://mediana.at/forderungen-plattformregulierung/) veröffentlicht.
Unsere Kernforderungen waren (und sind):
- Keine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung
- Keine verpflichtenden Uploadfilter
- Kennzeichnungspflicht für Parteien auf Social Media Plattformen
- Recht auf digitale Gegendarstellung
- Notice-and-Fair-Balance Verfahren
- Stärkung der Effektivität staatlicher Rechtsdurchsetzung // Einführung einer
„Niederlassungsfiktion“ - Offenlegung und Verfügbarmachung von Schnittstellen
- Förderung alternativer Online-Plattformen
- Chancengleichheit im demokratischen Diskurs: Platform Neutrality / Nutzungsrecht
An unserem grundsätzlichen Zugang, dass eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung verhindert werden und auf den monopolhaften Plattformen wie Facebook, YouTube, Instagram & Co Freie Meinungsäußerung gesichert sein muss, hat sich nichts geändert, den vorliegenden Entwurf halten nur beschränkt dazu geeignet.
Wir anerkennen, dass mit dem Entwurf des KommunikationsplattformenG („KoPl-G”) offenbar der Versuch unternommen wurde, aus der Diskussion um das deutsche NetzwerkdurchsetzungsG zu lernen und etwa vorzusehen, dass auch Nutzer:innen von Plattformen, die Inhalte zur Verfügung stellen, auch einen Anspruch haben, dass eine Löschung oder Sperre der von ihnen zur Verfügung gestellten Inhalte einem Überprüfungsverfahren unterzogen wird und ihnen offensteht, sich an die Beschwerdestelle zu wenden.
Zwar bleiben Zweifel an der Effektivität der Ausgestaltung dieser Maßnahmen für Uploader, sich gegen Löschungen wehren zu können, dies ändert aber nichts an deren Relevanz. Es ist ein bei rechtsextremen Aktivist:innen beliebtes Instrument, ihnen gegenüber kritische Beiträge/Personen bei Plattformen einzumelden und dadurch für Depublikationen zu sorgen. Einer der bekanntesten Fälle in Österreich war die Löschung des Facebook-Profil der Künstlerin Stefanie Sargnagel durch Facebook, nach Berichterstattung in der Kronenzeitung über Frau Sargnagel und daraufhin Einmeldung ihres Accounts von vielen Usern auf FB. Frau Sargnagel wurde offenbar durch eine konzertierten Aktion an ihrer Meinungsäußerungsfreiheit gehindert, nur aufgrund der Publizität ihres Falls gab es rasches Einlenken von Seiten des Plattformbetreibers.
Das führt uns letztlich zu der Sorge, die uns der Entwurf des KoPl-G macht: Intendiert, um die großen Plattformen, die keinen Sitz in Österreich haben, dazu zu zwingen, vor Ort Ansprechstellen einzurichten und mit ordentlichen (hohen) Bußgeldern iHv bis zu EUR 20 Mio zum Handeln zu bewegen, ist der Bereich, auf den dieses Gesetz anwendbar sein soll, so breit gestreut, dass er Missbrauch im Sinne einer Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit Tür und Tor öffnet.
Die Umsatzgrenze von EUR 500.000 wird von unserem Betreiberpartner, der Freier Rundfunk Oö GmbH im Geschäftsjahr 2020 voraussichtlich nur knapp nicht erreicht, dh 2021 ist durchaus realistisch, dass diese Grenze geknackt wird. Auch die Grenze mit den 100.000 registrierten Usern/Quartal ist extrem niedrig, das CBA hatte 2019 über 400.000 Besuchende, angesichts des Umstandes, dass eine Personalisierung geplant ist, die natürlich mit einer Registrierung verbunden wäre, ist durchaus realistisch, dass das CBA auch diese Grenze zumindest mittelfristig überschreiten wird.
Bleiben diese niedrigen Grenzen aufrecht, wäre das CBA gezwungen, engmaschig organisatorische Maßnahmen zu setzen, um sicherzustellen, dass das CBA und die handelnden Personen nicht existenzbedrohenden Strafen (bis zu 10.000 bzw EUR 50.000 persönliche Strafdrohung für den einzusetzenden §9 VStG-Verantwortlichen) ausgesetzt sind. Das hieße eine Vollzeitkraft sowie ein back up für deren Zeiten außer Dienst wohl mit juristischer Ausbildung und entsprechendem Entgelt, um sich der persönlichen Strafdrohung des §9 VStG auszusetzen, anzustellen. Im Grunde kommt man da unter EUR 50.000 bis 100.000 nicht weg.
Denn eines ist klar: Obwohl beim CBA in den letzten 20 Jahren seit launch der Plattform kein einziger Fall bei Gericht gelandet ist, müssten wir die Maßnahmen jedenfalls setzen, denn das oben skizzierte Risiko, organisiert von politisch Andersdenkenden angegriffen werden zu können beschränkt sich nicht auf Einzelpersonen, das kann genauso gut unabhängige Infrastrukturen wie das CBA treffen. Und das schließlich nicht nur in der Form, dass massenhaft politisch andersdenkende Beschwerden einbringen, sondern letztlich auch, dass von der Behörde her Druck ausgeübt wird.
Die deutsche Wirtschaftszeitschrift Capital hat die Auswirkungen des deutschen NetzwerkdurchsetzungsG analysiert und davon drei Aspekte kritisiert, dass das Gesetz die Vorlage für autoritäre Regime war, um die Meinungsfreiheit einzuschränken. Zweitens, dass Nutzer:innen keinen Widerspruch gegen Löschungen gegenüber den Anbietern einlegen könnten. Und Drittens, dass das Gesetz aufgrund rechtsextremistischer Taten in der jüngeren deutschen Geschichte wie etwa dem Mordfall Walter Lübcke, dem Anschlag in Halle und dem Anschlag in Hanau bisher nicht dazu geführt habe, dass Hetze und Hasskriminalität im Internet Einhalt geboten worden wäre.
Unseres Erachtens sind die Möglichkeiten des E-Commerce-G für Plattformen wie dem CBA völlig ausreichend, zumal dort für Probleme im Zusammenhang mit freier Meinungsäußerung unabhängigen Gerichten zuständig sind und keine Verwaltungsbehörden, wie im KoPl-G vorgeschlagen. Letzteres ein weiterer Punkt, den Entwurf kritisch zu sehen, weil das Verwaltungsstrafverfahren uE aus zwei Gründen iZm Meinungsäußerungsfreiheit problematisch zu erachten ist:
1. Gem §5 Abs 1 Satz 2 VStG ist bei Ungehorsamsdelikten Fahrlässigkeit indiziert, das heißt der „Täter muss diesfalls glaubhaft machen, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift „kein Verschulden trifft““.3 Im Sinne einer Beweislastumkehr gegenüber der normalen Unschuldsvermutung im Strafrecht kennt das Verwaltungsstrafrecht eine Verschuldensvermutung!
2. Es gibt die Möglichkeit sich freizubeweisen, sollte ein Rechtsverstoß eintreten, indem man den Nachweis als Verantwortlicher (etwa gem §9 Abs 2 VStG) erbringt, organisatorisch Maßnahmen durch Einführung eines Regel- und Kontrollsystems gesetzt zu haben (wie auch vom KoPl-G gefordert), das einen Verstoß verhindern sollte, welches im Einzelfall aber nicht aufgrund des Verschuldens des/der Verantwortlichen nicht gegriffen hat. Wie Prof. Lewisch ausführt sind „die diesbezüglichen Anforderungen – zumal an das Kontrollsystem – […] nach der Rsp des VwGH streng, der Grundtendenz nach überzogen streng. Soweit ersichtlich hat der VwGH (wohl aber jetzt das BVwG 6. 8. 2015, W120 2011394-1, für einen Fall eines E-Mail-Versands) in seiner Rsp noch kein Kontrollsystem als in concreto ausreichend befunden (…).“4
Schließlich sei an dieser Stelle an die strenge Spruchpraxis der KommAustria iZm der Medienkooperations- und -förderungs-Transparenzgesetz erinnert, wo die Behörde wegen relativ geringfügiger Verstößen Strafen verhängte, die erst durch die Rsp des VwGH gemildert wurde.5 Wir halten es daher für erforderlich, zumindest die Letztinstanz bei einem unabhängigen ordentlichen Gericht anzusetzen.
Aus den genannten Gründen schlagen wir ferner vor, die Schwellen für die Anwendung des KoPl-G in §1 Abs 2 KoPl-G deutlich anzuheben, zB analog dem österr DigitalsteuerG EUR 750 Mio weltweit und EUR 500.000 in Österreich, die Usergrenze würden wir aus Datenschutzgründen fallen lassen. Sonst läuft man mit der vorgeschlagenen Maßnahme Gefahr, beim Versuch, marktdominierende (US-amerikanische) Plattformen zu regulieren und zu schwächen, als unintended consequence statt dessen in Österreich ansässige unabhängige Infrastruktur, eine der wenigen verbliebenen Alternativen zu den marktdominierenden Plattformen, zu gefährden, und damit wiederum die marktdominierenden Plattformen zu stärken.
Wie die Erläuterungen zur zu begrüßenden Ausnahme für – der Wissensvermittlung dienenden – nicht-gewinnorientierten Online-Enzyklopädien ausführen, wurden diese „bislang nicht in einer erheblichen Form zur Verbreitung strafrechtswidriger Inhalte zweckentfremdet und bestehen derzeit auch keine Anhaltspunkte, dass in dieser Hinsicht Handlungsbedarf bestünde, der die Auferlegung der in diesem Bundesgesetz vorgesehenen Organisationspflichten für diese Diensteanbieter rechtfertigen würde.“ Gleiches gilt für das CBA. Das CBA hat in den 20 Jahren Betrieb iZm Meinungsäußerungsfreiheit keinen Anlass zu Kritik geboten, kein einziges Gerichtsverfahren, es besteht daher kein Handlungsbedarf, der die vorgesehenen Organisationspflichten rechtfertigen würde. Im Sinne unserer Forderung nach einen Notice- und Fair-Balance Verfahren erscheint uns als Maßnahme gegen Overblocking schließlich notwendig, auch den Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit als Zielsetzung in §1 aufzunehmen.
Wir schlagen daher vor, folgende Änderungen (die Änderungen sind fett hervorgehoben) vorzunehmen:
§ 1. (1) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes dienen der Förderung des verantwortungsvollen und transparenten Umgangs mit Meldungen der Nutzer über nachfolgend genannte Inhalte auf Kommunikationsplattformen und der unverzüglichen Behandlung solcher Meldungen sowie dem Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit.
(2) In- und ausländische Anbieter von Kommunikationsplattformen (§ 2 Z 4) unterliegen nicht den Regelungen dieses Bundesgesetzes, wenn
1. die Anzahl der mittels Registrierung für die Kommunikationsplattform zugangsberechtigten Nutzer in Österreich im vorangegangenen Quartal im Durchschnitt 100 000 Personen nicht überschritten hat und
2. der mit dem Betrieb der Kommunikationsplattform im vorangegangenen Jahr in Österreich erzielte Umsatz nicht mehr als 500 000 Euro und weltweit mehr als EUR 750 mio beträgt.
„(3) Anbieter von Kommunikationsplattformen, die nur der Vermittlung oder dem Verkauf von Waren oder Dienstleistungen dienen, oder deren Hauptzweck in der Bereitstellung nicht gewinnorientierter Anbieter von Kommunikationsplattformen – wie Online-Enzyklopädien zur Wissensvermittlung – liegt, sind, selbst wenn für einen größeren Personenkreis zugängliche Kommunikationsfunktionen bereitgestellt werden, unabhängig von der Anzahl der Nutzer der Kommunikationsplattform und der Höhe des mit ihrem Betrieb erzielten Umsatzes von den Verpflichtungen nach diesem Bundesgesetz ausgenommen.”
Im Übrigen schließen wir uns der der Stellungnahme von epicenter.works an.
Dr. Alexander Baratsits MAS, Obmann
Mag. Ingo Leindecker, Obmann Stv.